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KI-Anwendungen in der Schule – Überblick und Einordnung

Christophe Speroni
Christophe hat bettermarks mitgegründet und ist für die Produktentwicklung verantwortlich. Sein Ziel ist es, das Lernen einfacher zu machen.

Anwendungen mit Künstlicher Intelligenz (KI) haben eine rasante Entwicklung erlebt und dringen immer stärker in verschiedene Lebensbereiche vor – auch in die Bildung. Für Lehrkräfte und politische Bildungsentscheider stellt sich dabei die drängende Frage: Welche KI-Anwendungen sind tatsächlich lernwirksam und können Lernprozesse unterstützen?

Am 4. Juli 2023 hatte ich die Ehre, am Chancentalk des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zum Thema »KI in der Bildung« teilzunehmen. Dort wurden viele spannende und relevante Punkte diskutiert, die das Potenzial von KI in der Bildung beleuchten. In diesem Artikel möchte ich die Gelegenheit nutzen, einige dieser Punkte zu vertiefen und auf die Funktionsweise lernwirksamer KI-Anwendungen einzugehen.

KI-Chancentalk beim BMBF

KI als Technologie – und als Anwendung in der Bildung

Künstliche Intelligenz ist in der Lage, Aufgaben auszuführen, die normalerweise menschliche Intelligenz erfordern. Dies kann von einfachen Berechnungen bis zu komplexen Entscheidungsprozessen reichen. KI ist eine Technologie, die auch in unterschiedlichsten Bildungsanwendungen zum Einsatz kommen kann. Es ist von entscheidender Bedeutung, zwischen KI als einer allgemeinen Technologie und ihrem Einsatz in spezifischen Anwendungen zu unterscheiden: Denn nicht jede KI ist für jede Aufgabe geeignet. Die Effektivität einer KI hängt stark von ihrer Anwendung ab.

Die Anwendungsbereiche von Künstlicher Intelligenz im Bildungswesen sind vielfältig und reichen von individueller Lernunterstützung bis hin zur organisatorischen Planung. Um einen klaren Überblick über die verschiedenen Einsatzmöglichkeiten zu erhalten, ist die Unterteilung der KI-Anwendungen in drei Hauptkategorien hilfreich:

  • KI-Anwendungen für Schülerinnen und Schüler: Hier steht die individuelle Lernunterstützung im Vordergrund. Ein prominentes Beispiel sind Intelligente Tutorielle Systeme (ITS). Diese Systeme sind darauf ausgelegt, den fachspezifischen Lernprozess der Schülerinnen und Schüler durch didaktisch hilfreiche Rückmeldungen zu unterstützen. Außerdem analysieren sie die Lernfortschritte und bieten darauf basierend personalisierte Lernpfade. Sie können sowohl zum Aufbau von Kompetenzen entlang eines Curriculums als auch zur Identifizierung und Behebung von Wissenslücken eingesetzt werden.
  • KI-Anwendungen für Lehrkräfte: Tools, die Lehrkräfte bei ihrer täglichen Arbeit unterstützen. Ein gängiges Beispiel ist die Plagiatserkennung. Mithilfe von KI können eingereichte Arbeiten schnell und effizient auf mögliche Plagiate überprüft werden, was den Korrekturaufwand für Lehrkräfte erheblich reduziert.
  • KI-Anwendungen für Organisationen: Auf organisatorischer Ebene können KI-Systeme dazu beitragen, komplexe Planungsaufgaben zu erleichtern. Ein Beispiel hierfür ist die Schuljahresplanung oder die Erstellung von Stundenplänen. Durch den Einsatz von KI können optimale Lösungen gefunden werden, die sowohl den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler als auch den organisatorischen Anforderungen der Schule gerecht werden.

Lernunterstützende KI-Anwendungen

Während ChatBots wie ChatGPT in der öffentlichen Wahrnehmung oft im Vordergrund stehen, gibt es eine Vielzahl anderer Anwendungen, die das Lernen unterstützen können.

KI-Anwendungen in Schulen

  • Intelligente Tutorielle Systeme (ITS): Computerprogramme, die Lerninhalte individuell anpassen und Lernprozesse begleiten.
  • KI-gestützte Apps: Applikationen, die spezifische Aufgaben lösen, wie Sprachübersetzungstools oder Algebra Systeme.
  • KI-gestützte Simulationen: Virtual-Reality- und Augmented-Reality-Simulationen wie virtuelle Labore.
  • KI-Tools für Lernende mit Behinderungen: Gezielte Unterstützung von Schülerinnen und Schülern, beispielsweise mit Sehbeeinträchtigungen (Text-zu-Sprache-Tools).
  • Automatisches Essay-Schreiben (AEW): Anwendungen zum Schreiben und Überarbeiten von Essays.
  • Chatbots: Computerprogramme, die Fragen beantworten und mit Lernenden interagieren.
  • Lernnetzwerk-Orchestratoren: Systeme, die Lernende miteinander verbinden.
  • Dialogbasierte Tutoring-Systeme (DBTS): Programme, die Lerngespräche simulieren.
  • Explorative Lernumgebungen (ELE): Anwendungen zur Durchführung von Experimenten.

Quelle: State of the art and practice in AI in education (Wayne Holmes, Ilkka Tuomi)

Statistische und symbolische KI

Um die Funktionsweise der Anwendungen und deren Potenzial in den unterschiedlichen Anwendungsfällen besser einschätzen zu können, ist es hilfreich, die Art der eingesetzten KI zu verstehen:

Statistische KI (Data-Driven AI) Symbolische KI (Knowledge-based AI)
Hintergrund Basiert auf Daten Basiert auf Wissensmodellen
Grundprinzip Optimiert Vorhersagen basierend auf großen Datenmengen. Simuliert menschliche Fachexpertise
Anwendungsbereich Sprachverarbeitung, Computer Vision, Robotik etc. Bildungs- und Expertensysteme, Mathematik etc.
Funktionsweise Verwendet "Training" und "Testing"-Phasen, um Modelle zu optimieren. Verwendet heuristische Regeln und Inferenzmaschinen.
Rolle des Menschen Menschen sammeln Daten, schreiben Algorithmen und definieren Kriterien. Menschen kodieren Wissen und Expertise in das System.
Ressourcen Hoher Energieverbrauch Hohe Entwicklungskosten
Limitierung Da Entscheidungen auf statistischen Wahrscheinlichkeiten beruhen, können Entscheidungen falsch sein (»Halluzinationen«). Entscheidungen basieren auf Wissen, das aktuell gehalten werden muss.
Transparenz Entscheidungen schwierig zu interpretieren (»Black-Box«) Logik kann erklärt werden / Konsistente Entscheidungen
Flexibilität Flexibel auf unterschiedliche Inhalte übertragbar Schwierigkeiten bei der Generalisierung und Übertragung von Domänenmodellen auf neue Anwendungsbereiche.

KI-Anwendungen können auch beide Technologien kombinieren und einen Hybrid-Ansatz verfolgen. So kann etwa eine statistische KI eingesetzt werden, um Texteingaben von Schülerinnen und Schülern zu prozessieren, um sie anschließend mit einer didaktisch-modellierten Mustererkennung auszuwerten und lernwirksame Rückmeldungen zu geben (Beispiel: Hinweis auf die Verwendung von Umgangssprache).

Für den Einsatz in der Schule ist es hilfreich, den Anwendungsfall zu betrachten, für den die jeweilige Lösung entwickelt wurde. Eine Orientierung kann die Bloom'sche Taxonomie oder die Anforderungsbereiche der KMK im Rahmen der Bildungsstandards bieten:

  • Anforderungsbereich I: Wissen / Kennen
  • Anforderungsbereich II: Anwenden / Übertragen
  • Anforderungsbereich III: Urteilen / Bewerten

Dabei gilt, je höher der Freiheitsgrad einer KI-Applikation, desto höher der Anforderungsbereich: Die freie Interaktion mit einem ChatBot erfordert ein ausgeprägtes Urteilsvermögen, um das Lernen zu unterstützen. Für den Wissensaufbau mit Lernanwendungen sind altersgruppengerechte und auf den Lehrplan abgestimmte Inhalte notwendig. Interaktionen dürfen nicht kognitiv überfordern, aber gleichzeitig das Anwenden von Wissen ermöglichen. Gezielte Rückmeldungen regen zur Reflexion an und erzeugen Aha-Momente. Die Ständige Wissenschaftliche Kommission empfiehlt daher für Schulen den Einsatz Intelligenter Tutorieller Systeme, die aufgrund ihrer Funktionsweise als besonders lernwirksam eingestuft werden.

Ein lernwirksames ITS fragt nicht nur Wissen ab

Ein zentrales Unterscheidungsmerkmal von Intelligenten Tutoriellen Systemen ist die Art und Weise, wie sie Inhalte und Methoden strukturieren:

  • ITS mit Oberflächenstruktur: Diese Systeme bieten Lerninhalte wie Texte, Bilder, Videos und Animationen an, die darauf abzielen, den traditionellen Vortrag von Lehrerinnen und Lehrern zu ersetzen. Nach der Präsentation dieser Inhalte folgt in der Regel ein Quiz-Format, in dem das Wissen der Schülerinnen und Schüler durch geschlossene Fragen überprüft wird. Bei falschen Antworten leitet das System die Schülerinnen und Schüler zu relevanten Lerninhalten weiter, damit sie das Faktenwissen wiederholen können.
  • ITS mit Tiefenstruktur: Im Gegensatz dazu konzentriert sich ein ITS mit Tiefenstruktur auf das Anwenden von Wissen. Es geht nicht nur darum, Informationen zu präsentieren und abzufragen, sondern den Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen, ihr Wissen in praxisnahen Szenarien anzuwenden.

Die Tiefenstruktur eines ITS besteht aus dem »tutoring model«, das den Lernprozess und die Interaktion mit der Schülerin oder dem Schüler steuert, und dem »domain model«, das das Fachwissen bereitstellt.

Ein ITS mit Oberflächenstruktur (links) hat keine intelligenten Eingabewerkzeuge und Rückmeldungen (rechts). Ein ITS mit Tiefenstruktur arbeitet mit einer inhaltlichen Mustererkennung.

Ein effektives ITS zeichnet sich durch spezifische Merkmale aus:

  • Feingranulare Aufgabenschritte: Diese ermöglichen es den Schülerinnen und Schülern, komplexe Themen schrittweise auf unterschiedlichen Leistungsniveaus zu üben und zu erarbeiten.
  • Intelligente Eingabewerkzeuge: Schülerinnen und Schüler können Verfahren anwenden und üben, etwa das Arbeiten mit einem Funktionsplotter.
  • Personalisierte Rückmeldungen: Das System gibt basierend auf den Eingaben und dem Fortschritt der Schülerin und des Schülers individuelles Feedback.

Ein zentrales Element in diesem Prozess ist das »Scaffolding«. Es handelt sich dabei um unterstützende Maßnahmen, die den Schülerinnen und Schülern helfen, ihre Fehler zu erkennen und zu korrigieren. Der Mehrwert entsteht in Übungsphasen in Einzelarbeit: Schülerinnen und Schüler können im eigenen Tempo lernen und bekommen gezielte Unterstützung, wenn diese benötigt wird. Gleichzeitig erhalten Lehrkräfte einen Überblick über den Lernstand und -fortschritt in der Klasse und können somit ihre Unterrichtsplanung gezielt anpassen.

KI zur Unterstützung des Lernens und zur Entlastung von Lehrkräften

Nicht jede KI-Anwendung ist beim Einsatz in der Schule per se lernwirksam. Ihre Effektivität hängt maßgeblich davon ab, wie sie Lernprozesse unterstützt und fördert. Zur Bewertung und Einordnung ist es hilfreich, die Art der eingesetzten KI (statistisch oder symbolisch) sowie die Funktionsweise der Anwendung zu betrachten – also welche Aufgabe von der Anwendung übernommen und welcher Prozess unterstützt wird.

Ein ChatBot, eine spezialisierte App oder ein Intelligentes Tutorielles System kann nur dann lernwirksam sein, wenn der Einsatz zum intendierten Anforderungsbereich passt. Um Basis-Kompetenzen aufzubauen, muss die Anwendung den individuellen Bedürfnissen der Lernenden gerecht werden, sie in ihrem Lernprozess begleiten und gezielte, didaktisch sinnvolle Rückmeldungen geben. Die vorgestellten Anwendungen, insbesondere die Intelligente Tutorielle Systeme, zeigen das Potenzial von KI, den Lernprozess zu individualisieren und zu optimieren. Dabei ersetzen sie nicht den traditionellen Unterricht, sondern ergänzen und bereichern ihn. Lehrkräfte können durch den Einsatz solcher Systeme entlastet werden, wodurch mehr Raum für tiefgreifende Diskussionen und praktische Übungen entsteht.

Christophe Speroni

Christophe hat bettermarks mitgegründet und ist für die Produktentwicklung verantwortlich. Sein Ziel ist es, das Lernen einfacher zu machen.

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