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So funktioniert Scaffolding in Intelligenten Tutoriellen Systemen

Christophe Speroni
Christophe hat bettermarks mitgegründet und ist für die Produktentwicklung verantwortlich. Sein Ziel ist es, das Lernen einfacher zu machen.

Scaffolding spielt eine entscheidende Rolle in einem Intelligenten Tutoriellen System (ITS), indem es individuelles und adaptives Lernen unterstützt. Erfahren Sie mehr über die Bedeutung von Scaffolding, wie es in ITS angewendet wird und welche Konzepte hinter Mikro- und Makro-Adaptivität, Pull- und Push-Scaffolding stehen. Effektives Scaffolding kann dazu beitragen, leistungsschwache Schülerinnen und Schüler zu unterstützen.


Das deutsche Schulsystem steht vor einer Vielzahl an Herausforderungen: Eine wachsende Schülerschaft in zunehmend heterogenen Klassen trifft auf eine abnehmende Zahl von Lehrkräften. Gleichzeitig rollt die Digitalisierung wie eine Lawine durch unsere Gesellschaft – doch adaptive Lernsysteme sind für viele Lehrkräfte ein Puzzlestück, bei dem sie noch nicht wissen, wie es in den Unterricht passt.

Die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) empfiehlt als eine Maßnahme den Einsatz Intelligenter Tutorieller Systeme (ITS). Die konkrete Einbindung adaptiver Lernsysteme in das Unterrichtsgeschehen wird bereits intensiv diskutiert. Es geht vordergründig darum, die Lehrkräfte zu entlasten und mit personalisierten Rückmeldungen die Schülerinnen und Schüler beim Üben zu unterstützen.

Mein Freund und Mitgründer Arndt Kwiatkowski tauschte Erfahrungen auf einer Podiumsdiskussion des Bitkom e.V. zum Thema »Lehrkraft adé? Die Zukunft Intelligenter Tutorieller Systeme« aus. Das ITS von bettermarks wurde im Schuljahr 2021/22 von über 12.000 Lehrkräften im Mathematikunterricht eingesetzt.

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Wie kann ein ITS die Lehrkraft im Unterricht unterstützen und alle Schülerinnen und Schüler von dem digitalen Lernbegleiter profitieren?

Was ist ein ITS?

Intelligente Tutorielle Systeme gibt es bereits seit den 1980-er Jahren. Die sich stetig entwickelnde Technologie des maschinellen Lernens bis hin zur künstlichen Intelligenz hat heute die Möglichkeit, beim Lernen und Lehren zu unterstützen. ITS werden in Mathematik häufig für Selbstlernphasen genutzt, zum Beispiel für Hausaufgaben. Als intelligente Lernsoftware reagiert das System in Echtzeit auf jede Eingabe und bietet personalisierte Rückmeldungen an. Das Feedback eines Intelligenten Tutoriellen Systems ist »intelligent«, weil es mehr Tiefe als »richtig« oder »falsch« bietet – sofern es künstliche Intelligenz nutzt. So kann bettermarks über 2.800 Fehlermuster erkennen und Erklärungen zusteuern, die Fehlvorstellungen auflösen. Das ITS agiert somit adaptiv und passt sich dem individuellen Lernstand an.

Unterschied zwischen Mikro- und Makro-Adaptivität

In einem adaptiven Lernsystem wird zwischen zwei Arten von Adaptivität unterschieden. Besonders lernwirksam ist hierbei die Mikro-Adaptivität.

  • Mikro-Adaptivität: Die mikro-adaptiven Eigenschaften eines ITS (»inner loop«) finden in Verbindung mit der Eingabe oder genauer gesagt in jedem einzelnen Lösungsversuch eines jeden Aufgabenschrittes statt. Je feinstufiger, desto leistungsfähiger ist das System: bettermarks deckt 2.596 Lernziele mit 172.994 Aufgaben und 238.584 Aufgabenschritten ab. In den Aufgabenschritten kommen über 100 unterschiedliche Eingabewerkzeuge zum Einsatz, damit beim Üben mathematische Fähigkeiten angewandt werden können. Die Schülerinnen und Schüler erhalten auf jede Eingabe ein direktes Feedback und bei Bedarf Hilfestellungen (»Scaffolding«).
  • Makro-Adaptivität: Die makro-adaptiven Eigenschaften (»outer loop«) beschreiben die Reaktion des Systems auf eine Summe von Eingaben. Hier unterscheiden sich viele Systeme stark. Nur wenn das Lernsystem über ein Kompetenz- oder Lernziel-Modell (»competency model« oder »knowledge graph«) verfügt, können Schülerinnen und Schüler passende Empfehlungen zu ihrem Lernstand bekommen. So identifiziert bettermarks während der digitalen Übungsphase Lernlücken und steuert passende Inhalte zum Wiederholen zu.

Jede Eingabe wird automatisch ausgewertet und zeigt der Lehrkraft in einer detaillierten Übersicht den individuellen Unterstützungsbedarf. Das schafft Transparenz über Lernstand und Lernfortschritt. So kann die Lehrkraft die heterogenen Bedürfnisse ihrer Klasse erkennen und darauf eingehen.

Was bedeutet Scaffolding?

Scaffolding (von engl. Scaffold = »Gerüst«) in einem ITS bezieht sich auf die Fähigkeit des Lernsystems, auf Interaktionen der Schülerinnen und Schüler in Echtzeit zu reagieren und somit adaptiv beim Üben zu unterstützen. Dieses Gerüst an Hilfestellungen sollen Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzen, Aufgaben zu bewältigen, die jenseits ihrer Fähigkeiten liegen. Wichtig ist, dass dieses Hilfsgerüst stufenweise abgebaut wird, sodass eine eigenständige Lösungskompetenz entwickelt werden kann.

Unterschied zwischen Pull- und Push-Scaffolding

Ein ITS kann unterschiedliche Hilfestellungen geben: Hilfen, die vorab optional genutzt werden können, und Hilfen, die als Reaktion auf eine Eingabe erfolgen (siehe »Mikro-Adaptivität«). Wir unterscheiden dabei zwischen Pull- und Push-Scaffolding:

  • Pull-Scaffolding: Begriffsdefinitionen, Tipps, allgemeine Erklärungen, erläuterte Beispiele und Merksätze sind typische Inhalte, die den Lernenden vor dem Lösungsversuch Hilfe bieten. Die Schülerinnen und Schüler entscheiden selbstbestimmt und eigenverantwortlich, ob sie diese Hilfen nutzen möchten. Diese optionalen Hilfeangebote werden als Pull-Scaffolding bezeichnet (engl. to pull = »ziehen«).
  • Push-Scaffolding: Beim Push-Scaffoling reagiert das Lernsystem auf die Eingaben der Lernenden und steuert passende Inhalte zu. Bei falschen Eingaben können das sein: Hervorhebung des Fehlers (der Fehler wird »salient« gemacht), Zusteuerung von inhaltlichen Hilfestellungen – idealerweise passend zum Fehler – oder das Einfügen von Zwischenschritten. Doch auch bei richtigen Eingaben kann insbesondere das Einblenden von Visualisierungen den Verstehensaufbau unterstützen (engl. to push = »drücken«).

Das ITS bietet Hilfestellungen also genau dann, wenn keine Lehrkraft in der Nähe ist (zum Beispiel bei Hausaufgaben) oder nicht auf alle Lernenden gleichzeitig eingehen kann (zum Beispiel bei Übungsphasen in Einzelarbeit im Unterricht). Die Lernenden profitieren vom Scaffolding und die Lehrkraft bekommt mehr Freiräume, um Impulse zum Kommunizieren und Argumentieren zu setzen. Diese Kombination zeigt die größten Lernerfolge.

Wie funktioniert lernwirksames Scaffolding?

Das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) hat ITS-Funktionalitäten nach ihrer Lernwirksamkeit untersucht und festgestellt:

Eine feinere Auflösung von Lernzielen und Aufgaben führt zu höherer Lernwirksamkeit. Intelligente bzw. reichhaltige Eingabewerkzeuge sind als Lernformat wirksamer als „einfache Formate“. Die Möglichkeit zur Korrektur und Reflexion eigener Antworten ist lernwirksam.

Es sind also besonders drei Eigenschaften hervorzuheben, die für die Lernwirksamkeit in einem ITS relevant sind:

  1. Feine Auflösung von Lernzielen und Aufgaben
  2. Intelligente und reichhaltige Eingabewerkzeuge
  3. Möglichkeit zur Korrektur und Reflexion

Wie bedient bettermarks diese Kriterien?

Die feine Auflösung der Lernziele und Aufgaben wurden oben bereits als Grundlage für die Mikro-Adapitvität hervorgehoben (2.596 Lernziele mit 172.994 Aufgaben und 238.584 Aufgabenschritten), ebenso die reichhaltigen Eingabewerkzeuge (vom algebraischen Ausdruck, über Geometrie-Werkzeuge, Funktionsplotter bis zur Konstruktion von Wahrscheinlichkeitsbäumen). Die Intelligenz eines Werkzeuges ist verknüpft mit einer Validierungs-Engine (zum Beispiel mit einem didaktischen Algebra-System, das Fehlermuster erkennen kann). Das Werkzeug unterstützt damit nicht nur reichhaltige Interaktionen zum Anwenden mathematischer Fähigkeiten, sondern kann auch Teilfehler hervorheben.

Die Möglichkeit zur Korrektur und Reflexion der Eingabe wird im tutoriellen Modell des ITS festgelegt: Im Übungsmodus von bettermarks haben die Schülerinnen und Schüler immer zwei Versuche pro Aufgabenschritt. Aufgrund der verstehensorientierten Rückmeldung, die Bezug auf erkannte Fehlermuster nimmt, bekommen die Lernenden einen Denkanstoß. Die vertiefenden Hilfen verweisen auf wichtige Grundvorstellungen, um den Verstehensprozess zu unterstützen.

Lernwirksames Scaffolding für leistungsschwache Schülerinnen und Schüler

Wenn sich beim Üben Fehler einschleichen und diese nicht kommentiert werden, festigen sich Fehlvorstellungen. Die Rückmeldung »Das ist falsch!« ist besser als keine Rückmeldung. Jedoch ist sie nicht sonderlich verstehensorientiert. Der kognitive Anspruch ist hoch und überfordert leistungsschwache Schülerinnen und Schüler. Die Rückmeldungen sollten also immer aufgabenbezogen und möglichst konkret sein. Auf diese Erkenntnis der aktuellen Bildungsforschung verweist Frau Prof. Dr. Rebecca Lazarides von der Universität Potsdam.

Besonders leistungsschwache Schülerinnen und Schüler profitieren von den Denkanstößen, die sich auf ihre Fehler beziehen.

Wichtige Funktionen beim Scaffolding sind:

  • Fehler machen können: Die reichhaltigen Eingabewerkzeuge geben den Lernenden den Freiheitsgrad, Fehler machen zu können. Bei geschlossene Auswahlfragen (Single und Multiple Choice) und Lückentexten sind die Antwortmöglichkeiten stark eingeschränkt. Der Lösungsprozess wurde bereits vorstrukturiert, sodass bestimmte Fehler gar nicht gemacht werden können. Um aus einem Fehler lernen zu können, muss die Interaktion reichhaltig sein.
  • Sofort und personalisiert reagieren: Ohne Rückmeldung werden Fehler wiederholt. Ist die Rückmeldung allgemein oder abstrakt, profitieren davon vorrangig leistungsstarke Schülerinnen und Schüler. Nimmt die Rückmeldung auf den gemachten Fehler, kann ein lernwirksamer Impuls zur Reflexion gesetzt werden.
  • Fehler hervorheben: Nur intelligente Eingabewerkzeuge sind in der Lage, Fehler und Teilfehler salient zu machen. Die Hervorhebung ist nicht nur ein Denkimpuls, sondern kann auch motivieren, wenn die Lernenden sehen, dass nicht die gesamte Eingabe falsch war.
  • Hilfen vertiefen: Ein Denkanstoß kann verpuffen, wenn er in eine Sackgasse führt. Daher ist es wichtig, dass es vertiefende Hilfestellungen gibt, die wichtige Grundvorstellungen, Merksätze, Formeln oder erläuterte Beispiele zeigen.
  • Wissenslücken erkennen: Sollten trotz aller Hilfestellungen bestimmte Fehler wiederholen, ist eine Wissens- oder Lernlücke wahrscheinlich. In der Mathematik sind Wissenslücken besonders problematisch. bettermarks erkennt, wenn sich kein »Aha-Moment« einstellen sollte und stellt automatisch Inhalte zur Verfügung, damit die Schülerinnen und Schüler eigenständig versuchen können, ihre Wissenslücken zu schließen. Führt auch das nicht zum gewünschten Lerneffekt, sieht die Lehrkraft dies in der Auswertung und kann gezielt unterstützen.

Das ITS senkt im Übungsprozess die zu erbringende Transferleistung, um den gemachten Fehler zu erkennen, zu reflektieren und zu korrigieren. Bietet das ITS zusätzlich einen Testmodus ohne Scaffolding, kann das eigenständige Lösen von Aufgaben ohne zusätzliche Hilfestellungen geübt werden.

Eine Studie von Prof. Dr. Markus Spitzer und Prof. Dr. Korbinian Moeller zeigt, dass Schülerinnen und Schüler während der pandemiebedingten Schulschließungen in Österreich ihre Leistungen beim Üben mit bettermarks sogar steigern konnten. Eine weitere Studie aus Uruguay zeigt zudem, dass Schülerinnen und Schüler aus sozial schwierigen Umfeldern vom Üben mit bettermarks überproportional profitierten.

Zusammenspiel von Mensch und Maschine

Intelligente Tutorielle Systeme wie bettermarks können nicht nur Lehrkräfte entlasten, sondern auch individuell und adaptiv auf die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler eingehen. Dennoch bedarf es einer sorgfältigen Implementierung und fortwährenden Evaluierung, um sicherzustellen, dass alle Beteiligten von dieser Technologie profitieren. Die Rolle der Lehrkraft bleibt dabei zentral: Sie wird nicht ersetzt, sondern unterstützt und kann sich so noch stärker auf ihre pädagogische und didaktische Kernaufgabe konzentrieren. Die Zukunft des digitalen Lernens ist also kein Szenario des »Lehrkraft adé«, sondern ein Zusammenspiel von Mensch und Technologie, das auf das gemeinsame Ziel ausgerichtet ist: den bestmöglichen Lernerfolg für jede Schülerin und jeden Schüler.

Christophe Speroni

Christophe hat bettermarks mitgegründet und ist für die Produktentwicklung verantwortlich. Sein Ziel ist es, das Lernen einfacher zu machen.

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