Differenzialgeometrie
In der Differenzialgeometrie werden die Methoden der ->Analysis auf die -> Geometrie angewandt. In der klassischen Differenzialgeometrie werden ebene Kurven, Raumkurven und Flächen hinsichtlich ihrer Krümmungseigenschaften untersucht. Dazu wird teilweise die Sprache der -> Vektoranalysis (Gradient, Divergenz, Rotation) benutzt, vor allem bei der Anwendung der Differenzialgeometrie in der mathematischen Physik.
Die moderne Differenzialgeometrie, die in ihren Anfängen auf Carl Friedrich Gauß und Bernhard Riemann zurückgeht, abstrahiert vom dreidimensionalen Raum unserer Anschauung und betrachtet „n-dimensionale Mannigfaltigkeiten“, die lokal wie ein n-dimensionaler euklidischer Raum aussehen und somit eine übertragung der Begriffe der Differenzialrechnung erlauben. Auch hier gibt es bedeutende Anwendungen in der Physik (allgemeine Relativitätstheorie, Eichfeldtheorie, Stringtheorie).
Hier sollen nur zwei Beispiele angeführt werden, die die Themen der Differenzialgeometrie näher beleuchten:
1. Der Eulersche Polyedersatz (->Topologie) besitzt ein Pendant in der Differenzialgeometrie, den Satz von Gauß-Bonnet. Einer geschlossenen Fläche F (Kugel, Torusring) kann in jedem Punkt ein Krümmungsmaß zugeordnet werden, so dass man eine auf der Fläche definierte Funktion k erhält. Das Integral dieser Funktion über die gesamte Fläche ergibt nach geeigneter Normierung dann die Euler-Charakteristik \(\chi (F)\) der Fläche:
\(\chi (F)=\frac{1}{2\pi }\int \kappa d\sigma =2-2g\).
Dabei gibt g die Zahl der Löcher in der Fläche an. Die Kugel besitzt die konstante positive Krümmung 1, die über die Kugeloberfläche integriert gerade deren Oberflächeninhalt \(4\pi\) ergibt (beim Kugelradius 1). Durch den Faktor vor dem Integral erhält man also 2, d.h. die Kugel hat kein Loch. Der Torus hat sowohl Punkte mit positiver wie Punkte mit negativer Krümmung. Im Mittel (beim Integral) heben sich diese auf, so dass man 0 erhält, d.h. der Torus hat ein Loch. Die Krümmung lässt sich stark vereinfacht auch an Polyedern wie den folgenden veranschaulichen. Ein Maß für die Krümmung ist der Winkel, der zu einem vollen Winkel von 360" (oder \(2\pi\)) fehlt, wenn man die Fläche in der Nähe des Punktes plättet.
Auf den Seitenflächen kann man die Fläche plätten und ebenso entlang der Kanten, nicht dagegen in einem Eckpunkt. Im Einzelnen sieht es in der Nähe der verschiedenen Punkte so aus
Addiert man die Krümmungen über die gesamt Fläche, so liefern nur die Eckpunkte einen Beitrag, im Fall des Würfels \(8\cdot \frac{\pi}{2}=4\pi\), nach Division durch \(2\pi\) also 2. Für das mittlere Polyeder muss man noch die 8 Ecken berücksichtigen, die das Loch bilden. An einer solchen Ecke hat man einen Winkelüberschuss, die Krümmung ist negativ. Zu den 270" der Vorderfläche kommen hier noch zwei rechte Winkel hinzu, also 270" + 2?90" = 360" + 90?. Insgesamt sind 8 rechte Winkel zu subtrahieren, so dass man auf das gewünschte Ergebnis 0 kommt, der Euler-Charakteristik einer Fläche mit einem Loch. Beim rechten Polyeder haben die 8 Außenecken positive Krümmung \((\frac{\pi}{2})\) und alle anderen negative Krümmung (\(-\frac{\pi}{2}\) an den 24 Ecken auf den äußeren Seiten und \(\pi\) an den 8 Ecken im Inneren). Insgesamt erhält man hier die Euler-Charakteristik
\(\frac{1}{2\pi}(8\cdot \frac{\pi}{2}-24\cdot \frac{\pi}{2}-8\cdot \pi)=-8=2-2g=2-2\cdot 5\)
Das Polyeder besitzt also 5 Löcher.
2. Auf der Kugeloberfläche liegt die kürzeste Linie zwischen zwei Punkten (die Geodätische) auf dem Großkreis durch die beiden Punkte. Der Abstand zweier Punkte ist die Länge dieser (im Raum) gekrümmten Linie und lässt sich mit Methoden der Differenzialgeometrie berechnen. überhaupt war die Geometrie auf der Kugeloberfläche (genauer auf der Erdoberfläche) der Ursprung der Differenzial?geometrie (und auch der Geometrie), die damit eine wesentliche Rolle in der Kartographie, der Navigation und der Geodäsie spielt. Gauß ist beispielsweise über die Vermessung des Landes Hannover zur Differenzialgeometrie gekommen. Da man die gesamte Erdoberfläche nicht auf eine ebene Fläche abbilden kann, muss man sie stückweise abbilden, wobei in der Kartographie unterschiedliche Abbildungen zum Einsatz kommen. Am Ende hat man einen Atlas aus verschiedenen Karten mit deren Hilfe man sich auf der Erdoberfläche orientieren kann. Man muss nur dafür sorgen, dass man beim Wechsel von einer zur nächsten Karte die unterschiedlichen Verhältnisse richtig überträgt. Dazu benutzt man Koordinaten?transformationen. In der modernen Differenzialgeometrie ist diese Vorgehensweise unter dem Begriff „differenzierbare Struktur“ umgesetzt.