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Mathe-Tool bettermarks: „Wir wollen einen individuellen Lernpfad erzeugen“

Stephan Kemper
Stephan ist für die Verbreitung von bettermarks im Schulsystem verantwortlich. Er hält Vorträge und Workshops an Schulen und initiiert Projekte mit Ministerien, Landesinstituten und Trägern in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Unser Gründer Arndt Kwiatkowski im Interview mit der Berliner Zeitung:

Ab sofort können Berliner Lehrer und Schüler Bettermarks kostenlos nutzen. Der Unternehmensgründer Arndt Kwiatkowski erklärt, welche Chancen das eröffnet.

Friedrich Conradi, Eva Corino, 22.1.2021 - 16:55 Uhr

Berlin - Arndt Kwiatkowski gründete die interaktive Mathe-Plattform Bettermarks im Jahr 2008 gemeinsam mit Marianne Voigt und Christophe Speroni. Vor wenigen Tagen gab Sandra Scheeres (SPD) die Kooperation mit Bettermarks bekannt. Die Plattform soll den Berliner Schulen in der Corona-Krise eine Stütze sein. Zum ersten Mal geht es in der Debatte um die Digitalisierung der Schulen nicht nur um die Schaffung der technischen Infrastruktur, sondern auch um die Nutzung von intelligenten tutoriellen Systemen.

Herr Kwiatkowski, Sie sind Mitgründer von Bettermarks, einem adaptiven Online-Lernsystem für Mathematik. Erst mal zu der  Nachricht, dass Sie mit der Berliner Senatsverwaltung kooperieren: Wie sieht diese Kooperation aus?

Die Berliner Senatsverwaltung hat eine Landeslizenz von Bettermarks gekauft, deshalb ist die Nutzung für alle Lehrer und Schüler kostenfrei. Wir decken heute den Stoff der allgemeinbildenden Schulen von der vierten bis zur elften Klasse ab, inklusive der Mathematik für Berufsschüler. Die Inhalte für die Oberstufe und die Berufsschüler erweitern wir noch bis zum Sommer. Die Landeslizenz wurde aus Mitteln des Digitalpaktes finanziert.

Ist das ein Durchbruch für Ihr Unternehmen?

Ja. Es gab schon eine Landeslizenz in Hamburg, aber durch Corona haben auch Berlin, Bremen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz Landeslizenzen gekauft. Auf einmal sehen viele, wie wichtig die Fragen sind, die wir mit unserem Lernsystem beantworten wollen: Wie können Lehrer und Lehrerinnen ihre Schüler individueller fördern? Wie kann man Lehrkräften Tools an die Hand geben, die ihnen helfen, mit der wachsenden Heterogenität im Klassenraum zurechtzukommen?

Wie würden Sie denn einem Greenhorn Ihr Unternehmen erklären?

Bettermarks bietet ein intelligentes tutorielles System (ITS). Solche Systeme erlauben den Lehrkräften, zu jedem Zeitpunkt zu wissen: Wo stehen denn die Schüler? Es muss also eine Diagnosefunktion vorhanden sein. Außerdem brauchen sie für jedes Kompetenzniveau die passenden Übungsmaterialien in jeder Unterrichtseinheit und müssen sehen können: Wer hat was gemacht, wer ist wo hängengeblieben? Eine Lehrerin hat das schön beschrieben: „Vor Bettermarks habe ich ein neues Thema eingeführt und nachdem ich die Übungszettel verteilt hatte, waren 20 Hände oben. Ich wusste gar nicht, zu wem ich gehen soll. Wenn ich mit Bettermarks ein neues Thema einführe, sind wieder 20 Hände oben, ich kann aber sagen: Dann macht doch mal Fehler! Bettermarks hilft euch doch, den richtigen Weg zu finden. Dann bleiben vielleicht noch die Hände von drei Schülern oben und ich habe genug Zeit, mich um sie zu kümmern.“

Wie funktioniert das konkret für die Schüler?

Mit Bettermarks ist es so, dass die Schülerinnen und Schüler ruhig viele Fehler machen können. Ich habe also die Möglichkeit, eine falsche Vorstellung einzugeben. Und anders als ein Blatt Papier reagiert das System sofort. Zum Beispiel mit der Aussage: „Das war noch nicht richtig, versuch es nochmal!“ Im besten Fall erkennt es systematische Fehlvorstellungen. Wer eingibt: ein Halb plus ein Drittel sind zwei Fünftel kriegt die Meldung: „Du kannst nicht Zähler und Nenner addieren.“ So merkt man sich gar nicht erst einen falschen Weg, wie das vorher beim Rechnen mit Übungszetteln oft der Fall war.

So wird auf jeden Schüler individuell eingegangen?

Wir nennen das Mikro-Adaptivität. Der Schüler bekommt vom System sofort eine Rückmeldung. Zum Beispiel: „Das ist noch nicht richtig. Und hier kannst du noch mal nachlesen, wie der Lösungsweg mit den Werten dieser Aufgabe funktioniert.“ Darüber hinaus wollen wir einen individuellen Lernpfad erzeugen. Und da kommen die Wissenslücken ins Spiel. Wenn beispielsweise bei der Addition von ungleichnamigen Brüchen der Hauptnenner nicht gefunden wird, erkennen wir das nach ein paar Aufgaben und schlagen vor: Schau mal, hier ist eine Übung für genau diese Wissenslücke, nur für den Hauptnenner! Wir nennen das Makro-Adaptivität. Die Lehrerin wird ebenfalls informiert und kann darauf achten, dass die Lücken geschlossen werden. Bei Mathematik ist es ja schrecklich, wenn man einmal abgehängt ist. Alles baut aufeinander auf! Und durch Bettermarks bekommen die Schüler die Chance, selbst Wissenslücken aus vorherigen Klassenstufen zu schließen und im Stoff aufzuholen.

Wie sieht das aus der Lehrerperspektive aus?

Bettermarks bietet den Lehrkräften fast 200.000 interaktive Aufgaben. Wenn sie ein neues Thema beginnen, können sie mit einem Test das Vorwissen der Schüler ermitteln: Haben die Schüler schon alle nötigen Kompetenzen, um das neue Thema zu lernen? Beherrschen sie zum Beispiel schon Prozent- und Bruchrechnung? Denn die brauchen sie, um die Wahrscheinlichkeitsrechnung zu durchdringen. Bei Lücken werden gleich die passenden Übungen vorgeschlagen. So sorgt man dafür, dass alle an der Startlinie stehen, statt erst in der Klausur zu merken: Oh Gott, da ist ja wieder die Hälfte abgehängt!

Würde man diese Diagnosefähigkeit in den Bereich der KI einordnen?

Nein, bei uns ist das regelbasiert und die Regeln haben erfahrene Pädagogen aufgestellt. KI ist ja ein schwammiger Begriff. Aber hier ist kein lernendes System am Werk, und wir möchten auch nicht, dass ein selbst lernendes System die Schüler steuert, sondern dass die Lehrkraft die Klasse steuert. Das ist ja die Herausforderung: entlang eines Curriculums die ganze Klasse mitzunehmen.

Und trotz der individuellen Förderung mit Bettermarks kommt es zu einem gemeinsamen Voranschreiten? 

Das „Lernen im eigenen Tempo“ findet innerhalb des vom Lehrer gerade behandelten Themas statt – sonst wäre es keine Klassengemeinschaft mehr. Lernen ist ja in hohem Maße ein sozialer Prozess.

Es gibt Studien, die zeigen, dass das Mit-der-Hand-auf-Papier-Schreiben auch mnemotechnische Vorteile hat. Weil es sich einfach tiefer einkerbt in das menschliche Gedächtnis. Geht das bei Ihrem System verloren?

Ich glaube nicht. Denn die Schüler werden auch dazu aufgefordert, Stift und Papier neben den Rechner zu legen, dort die Nebenrechnungen zu machen. Und Papier allein gibt halt keine Rückmeldung.

Stellen wir uns vor, ich bin ein Lehrer und bekomme jetzt die Nachricht, kostenlos Bettermarks nutzen zu können. Wie gehe ich vor?

Dann gehen sie auf unsere Website, die wir gemeinsam mit der Senatsverwaltung erstellt haben: Dort steht, wie man vorgeht und sich zu Online-Schulungen anmelden kann. Außerdem gibt es Erfahrungsberichte von Lehrkräften, die Bettermarks schon erfolgreich genutzt haben.

War Corona ein Katalysator für die Digitalisierung der Schulen?

Ja, denn die Adaptionsgeschwindigkeit im Bildungssystem ist ziemlich langsam. Bevor Hamburg 2019 eine Landeslizenz gekauft hat, haben sie vier Jahre getestet. Durch Corona waren die anderen Bundesländer deutlich kürzer entschlossen. Bei der Kultusministerkonferenz und beim Schulgipfel der Kanzlerin wurde festgehalten, dass man intelligente tutorielle Systeme für alle Klassenstufen und Fächer etablieren will. Diese müssen jetzt Stück für Stück entstehen.

Warum haben Sie mit der Mathematik angefangen? 

Weil es hier leichter ist, richtig und falsch zu erkennen und Feedback zu geben. Dennoch war die Entwicklung für uns viel aufwendiger, als wir dachten. 2008 haben wir angefangen und dachten: „Zwei Jahre, dann haben wir das fertig.“ Nach fünf Monaten mussten wir unterbrechen, weil wir nicht wussten, wie wir die Fehlermuster-Erkennung programmieren sollen. Dann haben wir aber Spezialisten gefunden, die das konnten. Naja, und dann haben wir noch einmal zehn Jahre und 30 Millionen investiert.

Auf der Website sieht man: Das Programm wird auch in Uruguay genutzt. Warum ausgerechnet dort?

Das ist ein glücklicher Zufall. Ein Mitglied unseres Teams stammt von dort. Interessantereeise wurden in Uruguay schon um 2010 alle Schülerinnen und Schüler mit Laptops ausgestattet: „One Laptop per Child“ hieß das Programm. Bei den anschließenden Evaluationen stellte das Bildungsministerium fest, dass keinerlei Lernfortschritt stattgefunden hatte. Daraufhin wurde eine Ausschreibung für adaptive Lernsysteme in Mathematik gemacht. Wir haben unsere letzten Gelder zusammengekratzt, Bettermarks ins Spanische übersetzt und die Ausschreibung gewonnen. Seit 2013 wird Bettermarks in Uruguay eingesetzt. Und besonders erfreulich ist: Der Wissens-Zuwachs bei Schülern aus bildungsfernen Familien war extrem hoch! Also bei denen, die sonst kein Geld für teure Nachhilfe-Stunden haben.

Bettermarks bedeutet übersetzt: „Bessere Noten“.  Dabei sollen die Schüler ja nicht immer auf die Noten schielen, sondern aus Interesse lernen.

Wir haben nicht die Illusion, dass die Schüler durch Bettermarks jetzt lieber Mathe machen, als Fußball zu spielen. Aber wenn die Schüler die Wahl haben, wie sie Mathe machen wollen, wählen sie Bettermarks. Die direkte Rückmeldung ist ein Element von Gamification, es gibt ein Rewarding-System mit Münzen und Sternen. Und weil man seine Fehler sofort verbessern kann und nicht in Sackgassen rennt, ist man auch motivierter.

Wie intensiv nutzen die meisten Lehrer Bettermarks? 

Es hängt vom Land ab und von der Infrastruktur. In den Niederlanden wird Bettermarks an Tablet-Schulen genutzt, die voll mit WLAN ausgeleuchtet sind. Dort ist Bettermarks der Ersatz des Schulbuchs. In Deutschland wird es vor allem für Hausaufgaben eingesetzt, denn im Unterricht kann es nur selten genutzt werden, solange die Infrastruktur noch aufgebaut wird. Zum Glück gibt es den Digitalpakt! Und wenn der erst einmal umgesetzt ist, kann es in Deutschland so laufen wie in den Niederlanden.

Welches Krisenmanagement würden Sie empfehlen, um die Schaffung der Infrastruktur an deutschen Schulen voranzubringen?

Also, da bin ich kein Fachmann für und auch bei uns in der Firma nicht für das WLAN verantwortlich. Britta Ernst, die neue Präsidentin der Kultusministerkonferenz, hat das in ihrem Antrittsinterview sehr gut beschrieben: „Wir merken jetzt, dass wir Versäumnisse haben, was die digitale Ausstattung der Schulen angeht. Und wir merken auch, dass wir diese Versäumnisse nicht während der Corona-Krise nachholen können. Aber wir müssen jetzt dafür sorgen, dass die Themen auf der Agenda bleiben und die Digitalisierung konsequent weitertreiben.“ Und dazu gehört, diese leistungsfähigeren tutoriellen Systeme als neue, digitale Lernmittel zu etablieren.

Aber warum fällt es so schwer, dieses Set-up zu schaffen? Letztes Jahr wurde beschlossen, dass die Lehrer Laptops bekommen. Sie haben immer noch keine. Wie kann man das beschleunigen?

Ich kann das nur für den Beschaffungsprozess sagen, der mit Bettermarks stattgefunden hat. Da habe ich die mit uns kooperierenden Bundesländer als handlungsfähig erlebt. In Berlin arbeiten jetzt schon an ungefähr 250 Schulen, 1100 Lehrer und 25.000 Schüler mit Bettermarks. Die haben seit Sommer 2020 schon 3.000.000 Aufgaben gerechnet haben – also 150 Aufgaben je Schüler. Das ist eine positive Mobilisierungskraft.

Stephan Kemper

Stephan ist für die Verbreitung von bettermarks im Schulsystem verantwortlich. Er hält Vorträge und Workshops an Schulen und initiiert Projekte mit Ministerien, Landesinstituten und Trägern in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

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